Triathlon gefiel Barbara Tettenborn, weil er ihr sehr viel Freiheit mit individueller Planung ermöglichte. Es war keine zweite Person nötig, um den Sport auszuüben. Hier auf der Radstrecke des Ironman Hawaii 2018.
Im Alter von 50 Jahren hat sie erstmals einen Ironman absolviert. Die ambitionierte Hobbysportlerin und Neurologin Barbara Tettenborn im Gespräch über Willensstärke, Enthusiasmus und den Menschen als Bewegungsapparat. Von den beiden Erstgenannten hat sie reichlich.
Barbara Tettenborn ist heute 63 Jahre alt. Nach einer sportlich aktiven Jugend hat sie im Alter zwischen 23 und 49 Jahren eher wenig Sport ausgeübt. Als sie 50 Jahre alt war, hat sie sich dann ein Ziel gesetzt: Sie möchte einen Ironman absolvieren. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den Ironman auf Hawaii. Als einzige Chefärztin einer neurologischen A-Klinik (Klinik mit voller Facharzt-Ausbildungsberechtigung) in der Schweiz hat sie das Neurologie-Zentrum am Kantonsspital St. Gallen erfolgreich auf-und ausgebaut. Heute hat Barbara Tettenborn nicht nur 50 Ärztinnen und Ärzte in ihrem Team, sondern ist auch ehrenamtlich und berufspolitisch aktiv wie beispielsweise als Präsidentin der Schweizerischen Epilepsie-Liga oder im Vorstand der Swiss Federation of Clinical Neuro-Societies.
Bereits früh in der Kindheit wusste Barbara Tettenborn, dass sie Professorin werden möchte.
Die Professur gilt als der höchste akademische Titel. Sie liess sich auch nicht von früheren Vorgesetzten entmutigen, die meinten, mit ihrer Position als Oberärztin hätte sie wohl als Frau schon genug erreicht. Solche Aussagen waren einer mehrerer Gründe, warum sie im Februar 2020 «Women in Neurology» ins Leben gerufen hat. Die Organisation ist in der Gründungsphase und hat das Ziel, Ärztinnen der Neurologie bei der Karriereplanung zu unterstützen und begleiten.
Viel Arbeit und wenig Zeit für Sport
Aber wie kam Barbara Tettenborn überhaupt auf die Idee, einen Ironman zu absolvieren? Barbara hatte bereits 1979 die Entstehungsgeschichte des Ironman auf Hawaii mitbekommen. 1977 hatten Judy und John Collins die Idee, aus drei bereits existierenden Ausdauerwettkämpfen auf Hawaii einen zu machen und wer diesen bestehe, sei ein «Ironman». «Whoever finishes first, we’ll call him the Iron Man.» (Wer auch immer zuerst ins Ziel kommt, wir werden ihn den eisernen Mann nennen.) 1978 fand der erste Wettkampf auf Hawaii statt, 1979 nahm erstmals eine Frau teil.
Barbara war von dieser Art Wettkampf fasziniert und von da an reifte in ihrem Kopf die Idee, selbst am Ironman teilzunehmen.
Beruflich war Barbara sehr eingespannt: Die Wochenenden und Ferien nutzte sie für die wissenschaftlichen Arbeiten für die Professur. Ihre Arbeitstage waren lang und dauerten oft bis in die Nacht hinein, was ihr wenig Zeit für Sport ermöglichte – es war schon schwierig genug, ausreichend Zeit zum Schlafen zu finden. Zudem musste sie berufsbedingt oft reisen; keine idealen Voraussetzungen, um sich für einen Ironman fit zu machen. Aber die Idee liess sie nicht los. Und Triathlon gefiel ihr, weil er ihr sehr viel Freiheit mit individueller Planung ermöglichte. Es war keine zweite Person nötig, um den Sport auszuüben.

Geschafft! 2014 hat Barbara das erste Mal am Ironman World Championship Kona teilgenommen. Hier der Zieleinlauf im Jahr 2018.
Der Start und der Bruch
Einige Monate vor ihrem 50. Geburtstag hat Barbara den Entschluss gefasst, am Ironman auf Hawaii teilzunehmen. Erst danach stellte sie fest, dass sie sich nicht einfach in Kona/Hawaii anmelden und dort starten konnte, sondern sich für den Wettkampf zuerst qualifizieren musste. Also war trainieren angesagt. Kaum richtig gestartet, folgte der Bruch, genaugenommen ein Armbruch. Aber Barbara hatte bereits im Beruf Durchhaltewillen gezeigt und hatte den Mut, sich allem zu stellen, was vermeintlich unangenehm und nicht immer der bequemste Weg war. Wenige Monate nach der Armfraktur startete sie 2008 erstmals am Ironman Zürich, war deutlich schneller als gedacht und landete direkt auf dem 2. Platz in ihrer Alterskategorie. Aber nur die jeweilige Siegerin der Altersklasse ist für die Ironman World Championships in Kona/Hawaii qualifiziert. In den Folgejahren hat Barbara mehrmals am Ironman in Zürich teilgenommen, 2014 schliesslich in ihrer Altersklasse gewonnen und im gleichen Jahr erstmals den Ironman in Kona auf Hawaii gefinished. In den darauffolgenden Jahren konnte sie sich 2018 in Frankfurt und 2019 in Neuseeland jeweils erneut qualifizieren und in Kona an den Start gehen.
Energie tanken dank des Sports
Die medizinische Welt ist fordernd und sehr leistungsorientiert. Sich gerade als Frau in dieser Branche zu behaupten, erfordert Standfestigkeit, ein starkes Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, sich auch mal verbal wehren zu können.
Und für all diese Bereiche tankt Barbara dank des Sports Energie.
Die sportliche Betätigung hilft ihr, Dinge zu akzeptieren oder zu relativieren. Heute absolviert sie täglich Trainingseinheiten und nutzt diese gleichzeitig, um gewisse Arbeiten zu erledigen, beispielsweise wenn sie sich für Onlinekonferenzen vorbereitet oder strategische Konzepte entwickelt. Sie kann beim Sport so gut abschalten, dass sie nach ihren Trainingseinheiten immer wieder mit neuen Ideen dasteht. Es verwundert deshalb auch nicht, dass für Barbara der Sport zugleich auch Zeit für sie selbst bedeutet. Sporteinheiten hat sie fix in ihrem Kalender eingetragen. Dank des Sports kann sie ihren aktiven und ausgefüllten Alltag bewältigen.

Kletterkurs im Rahmen der Ausbildung Gebirgs- und Höhenmedizin 2015.
Der Mensch braucht Bewegung
Als Neurologin weiss Barbara, dass Sport einen schützenden Effekt vor zahlreichen Krankheiten hat und vielfältig erfolgreich in der Therapie eingesetzt wird wie beispielsweise bei Depressionen, beim Schlaganfall oder bei der Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten. Auch der Verlauf der Erkrankung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen kann durch regelmässige körperliche Betätigung positiv beeinflusst werden. In den darauffolgenden Jahren konnte sie sich 2018 in Frankfurt und 2019 in Neuseeland jeweils erneut qualifizieren und in Kona an den Start gehen. Sport ist aber nicht nur bei Erkrankungen wichtig, sondern generell unabdingbar für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen.
Der menschliche Bewegungsapparat ist nicht fürs Sitzen gemacht, wir brauchen Bewegung.
Körperliche Aktivität verbessert die Lebensqualität. «Wenn du ins Schwitzen kommst und eine Pulsbeschleunigung vorhanden ist, dann ist es Sport. Ein langsamer Spaziergang gehört also beispielsweise nicht direkt dazu, aber jede Form von Bewegung ist besser als sich gar nicht zu bewegen.» Auf die Frage, welchen und wie oft wir Sport betreiben sollten, ist ihre Antwort eindeutig. Über die Woche verteilt im Mittel täglich mindestens 30 Minuten (also insgesamt mindestens 3.5 Stunden pro Woche) und die Sportarten wechseln. Auch in diesem Sinne ist Triathlon mit dem Wechsel zwischen Velofahren, Laufen und Schwimmen sehr gut geeignet. Zusätzlich sollte je einmal pro Woche ein Gleichgewichtstraining und ein Krafttraining durchgeführt werden. Zwei Drittel der sportlichen Betätigung sollten im aeroben Bereich erfolgen, ein Drittel im anaeroben Bereich.
Unsere Muskulatur benötigt Energie, da sie ansonsten nicht arbeiten kann.
Wir unterscheiden in der Energiegewinnung zwischen aerob (mit Sauerstoffverbrauch) und anaerob (ohne Sauerstoffverbrauch). Nur wenn genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, können die energieliefernden Kohlenhydrate (Glucose) vollständig abgebaut werden. Die Energieausbeute ist grösser, und auf aerobem Weg können zudem auch Fettsäuren abgebaut werden. Dieser Vorgang dauert aber deutlich länger als die anaerobe Energiebereitstellung durch den Abbau von Glucose. Der anaerobe Weg wird immer dann bestritten, wenn nicht genug Sauerstoff zur Energiegewinnung zur Verfügung steht, es fällt Laktat, das Salz der Milchsäure, an. Praktisch ausgedrückt: Wenn man sich beispielsweise beim Joggen unterhalten kann, trainiert man noch im aeroben Bereich. Trainieren wir schnell und intensiv wie z.B. bei Sprints, verbrauchen die Muskeln zu viel Energie in sehr kurzer Zeit, dann setzt der anaerobe Stoffwechsel ein. Apropos Muskulatur: Diese nimmt bereits ab dem 35. Lebensjahr bis zu ein Prozent pro Jahr ab. Die Muskeln werden nach und nach in Fett umgewandelt. Ohne Sport verliert ein Mensch bis zum 80. Lebensjahr bis zu 40 % seiner Muskelmasse. Die gute Nachricht ist: Durch regelmässiges gezieltes Training kann sich dieser Muskelabbau aufhalten oder sogar umkehren lassen, und zwar fast unabhängig vom Alter.

Barbara ist auch eine begeisterte Skifahrerin.
Der Wille zählt
Die Bewegung ist das eine, die Ernährung das andere. Trotz täglicher Sporteinheiten muss Barbara darauf achten, nicht an Gewicht zuzulegen. Sie isst relativ ausgewogen mit viel Gemüse, Obst, Salat, Nüssen, Milchprodukten, zwei bis drei Mal pro Woche Fleisch, gelegentlich Fisch und möglichst wenigen Kohlenhydraten und nimmt keine Nahrungsergänzungsmittel oder zusätzliche Vitamine zu sich. Die Monate vor den Wettkämpfen trinkt sie keinen Alkohol und in der Woche vor einem Ironman isst sie ohne jegliche Einschränkungen: Glace, Pasta, Filet, alles was sie gerade essen mag, nur weniger Früchte und Salat als sonst. Ihr ist wichtig, dass sie als Ärztin für ihre Patientinnen und Patienten ein gutes Vorbild ist.
«Eine Ärztin kann von einer Patientin nicht verlangen abzunehmen, wenn sie selbst übergewichtig ist. Wir müssen dies vorleben, ansonsten wirken wir sehr unglaubwürdig.»
Sie ist auch deshalb sehr streng zu ihren Patientinnen und Patienten, weil sie weiss, dass der Wille oft der Bremser für die Leistung ist. Wer deutlich Übergewicht hat und 10 bis 20 Kilo abnehmen will, kann das schaffen – vorausgesetzt, die Person will es wirklich.
Enthusiastisch sein und alles schaffen (können)
Barbara wird oft gefragt, wie sie es schafft, alles unter einen Hut zu bringen. Wenn man sie aber nach dem Ausgleich zwischen ihrer Freizeit und ihrer Arbeitszeit fragt, antwortet sie: «Den braucht es bei mir nicht. Ich habe eine Lebenszeit. Ich verbringe diese Zeit überwiegend mit Dingen, die mir Freude bereiten und bei denen ich enthusiastisch sein kann. Ich unterscheide da nicht zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Wenn wir etwas wirklich erreichen wollen und die Freude da ist, können wir fast alles schaffen.» Wer Barbara bei diesen Worten zuhört, merkt schnell, dass sie Neurologie und Sport mit Begeisterung und Enthusiasmus ausübt und dies stets mit dem Willen, etwas zu bewegen.
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